10. Winterlicht und Picknick am Strand und die Vergangenheit lässt uns nicht los

Es ist Februar …. 2021

 

Der Nebel am Morgen kommt langsam auf uns zu. Nur noch die Häuser ganz in der Nähe sind zu erkennen. Wir gehen hoch auf das Kastro. Das machen wir immer, wenn das Dorf im Dunst ist. Die Stille für die Augen genießen. Ab und an huscht mal jemand vorbei, auch die Schritte klingen leiser. Ich mag diese mystischen Momente. Weiß auch nicht warum.

 Christian ist gestorben, der Christian, der seit vielen Jahren auf Anafi am Katsouni-Strand lebte und später am Klissidi-Strand in einem alten Wohnwagen. Er gehörte zu Anafi wie der Kalamos. Wir hatten schöne Begegnungen mit ihm. Ich erinnere mich an den wunderbaren Abend bei Takis. Christian hatte eine Rolling Stones DVD geschenkt bekommen und wollte sie natürlich irgendwo anschauen und Takis organisierte das, kochte was Feines und Wein und Raki gab es auch. Dann schauten wir das Stones-Konzert und Christians Augen leuchteten die ganze Zeit.

Ich habe über den Leipziger Alt-Hippie im 6. Blog berichtet (Abschnitt 17. Juni 20). Er musste im August 2019 nach Deutschland wegen einer Augen-OP und kam nie wieder. Unfassbar. Wäre er nicht gefahren, würde er mit Sicherheit immer noch dort sitzen, auf seinem klapprigen Stuhl vor dem Wohnwagen. Mit seiner großen Sonnenbrille und einer Zigarette in der Hand. Eine leere Kaffeetasse und der Aschenbecher auf dem Hocker daneben. Auch wenn er nicht mehr so gut hätte sehen können, er hatte das alles im Herzen und kannte jeden Strauch, jeden Pfahl, jeden Stein. Und das Meer wäre ihm geblieben, wenn auch irgendwann nur noch in seinem inneren Auge. Das Getöse der Wellen, die Musik des Windes, das Miauen des Katers, das Zirpen der Grillen, all das wäre ihm geblieben, noch lange Zeit. Wäre er nur hiergeblieben!

Man hat ihn tot in seiner Wohnung gefunden, höre ich. Mehr weiß ich nicht. So ein verrücktes, buntes Leben und so ein trauriges Ende.

Wir stoßen auf ihn an und alle, die ihn kannten, holen sich mal jetzt ein Glas und wünschen ihm alles Gute da im anderen Paradies da oben. Καλό παράδισο!

 

Christian, du wirst uns fehlen!

Es ist März......

Das Wetter ist wie Aprilwetter. Es kann sein wie im Sommer oder es kann auch mal schneien. Warme Südwinde, die den Sand der Sahara überall verteilen, so dass wir alles saubermachen müssen und Mattheus mit dem Schlauch das ganze Haus abspült. Kalte Nordwinde, die eisig aus dem Nichts daherkommen. Da zieht man dann den dicken Anorak an. Und die Mütze. Und muss die gerade gepflanzten Tomaten schützen, damit sie nicht erfrieren. Aber oft ist es auch windstill, sonnig und wir frühstücken draußen, gehen spazieren, auch mal zum Strand und machen ein Feuerchen zum Grillen. Das Wasser hat ca.17-18 Grad, also kann man auch schwimmen. Und das ist ja was ganz Besonderes im Winter.

Die Winde verändern die Strände. Am Hafen wird der Strand immer größer.

Es ist Samstag und Joana hat frische Ware bekommen. Mit der Prevelis am Morgen.

Da gehen wir einkaufen, frisches Obst und Gemüse. Und Bier. Sie hat Bier aus Rhodos und das ist sehr preiswert und gut und Stefan kauft immer viel davon, man kann ja nie wissen.... Das Bier heißt auch schon Stefanos-Bier. Haha.

Und nach dem Einkauf gibt es das Sofort-Bier. Auf der Hafenbank. Und dann heißt es hoch laufen, ganz ruhig. Die Ware wird später gebracht vor die Haustür. Wir können ansonsten auch hier im Dorf einkaufen bei Kiki. Im Moment ist sie nicht da, wahrscheinlich in Santorin, da haben sie ja noch einen weiteren Laden. Die Tochter sitzt nun hinter dem Plexiglas und wartet auf Kundschaft, Handy schauend oder telefonierend. Manchmal sogar mit Maske aber meistens nicht. Mit Maske sieht man nur die Leute, die gerade frisch aus Santorin zurück gekommen sind. Das halten sie dann aber auch nur drei Tage durch, dann ist wieder alles wie immer.

Im Dorf gehen wir an Frau Sambetas Haus vorbei, wir rufen kalimera, sie ist da, wo soll sie auch sein und freut sich, uns zu sehen. Wir bewundern ihren kleinen schönen Hof mit all ihren Pflanzen, ihr Reich, was sie hegt und pflegt und uns stolz alles zeigt. Auch Dill hat sie in einem Topf, bei uns wächst er nicht. Sie schenkt uns Samen, man muss Samen nehmen vom Anafi-Dill, der andere wird nichts, sagt sie. Na ich bin gespannt. 

Die ersten Kartoffeln sind geerntet. Der Blumenkohl ist lila und schmeckt fast wie Brokkoli. In den nächsten Wochen wird es die verschiedensten Blumenkohlgerichte geben. Und eins schmeckt besser als das andere. Stefan kann unglaublich gut kochen. Der Weißkohl hat leider so merkwürdige Würmer. Also so ein Zwischending zwischen Würmern und Schnecken. Zwei sind aber in Ordnung. Daraus machen wir frischen Salat und natürlich ist der Geschmack einmalig, das ist kein Vergleich zum gekauften Kohl. Die Rote Bete gedeiht bestens und der grüne Salat kann geerntet werden.

Stefan hat auch wieder einige Dinge bei den Nachbarn repariert. Dann bekommen wir Zitronen, frische Eier, Kürbis, Honig oder Kuchen. Aus den Zitronen wird ein Limoncello, aus den Eiern ein Eierlikör, aus dem Kürbis eine Suppe und die andere Hälfte wird süß-sauer eingelegt. Alles gute anafiotische Produkte. Was will man mehr.

Die Mohnblumen, die Margeriten, die Veilchen, die Butterblumen, der Klee und die Mandelbäume blühen.

Und die Ringelblumen. Die Samen habe ich aus Berlin mitgebracht, aus dem Garten meines Bruders. Sie tun so, als wüchsen sie hier schon immer. Aber auf Anafi sind es die einzigen, glaube ich.

Das Leben und die Menschen hier und die Frage nach der Veränderung

Verändert man sich eigentlich, wenn man hier lebt? Zusammen mit den Katzen, zusammen mit den Nachbarn, zusammen mit den Menschen im Dorf. In einer anderen Kultur, umgeben von Griechen mit einem anderen Gemüt, mit einer anderen Gelassenheit, mit ständigem Hang zum Diskutieren über Gott und die Welt, mit dem Hang zum Drama. Der griechische Charakter ist geprägt von Stolz und Erhabenheit. So sagt man. Ich kann ja nur von den Menschen hier reden, den Inselbewohnern, die ich über längere Zeit kennenlernen durfte.

Darüber, dass sie sich an den kleinsten Dingen, die sie tun, erfreuen können. Agapia zeigte uns ganz stolz die gepflanzten Zitronenkerne, in der Hoffnung dass irgendwann ein Sprössling erscheint. Kerne aus gut gereiften Zitronen von der Insel, zwei Wochen in ein nasses Tuch gelegt und dann in einer selbstgebauten Kleingewächs-Anlage aus Plasteflaschen eingepflanzt. Nun braucht es nur noch Geduld. Wenn nichts bei rauskommt, das macht nichts, aber der Versuch alleine bringt Freude, Stolz und erweitert den Horizont. In welche Richtung auch immer. Gelingt es nicht, ist es ein Grund, etwas anderes zu probieren. Und dann wiederum stolz zu sein und Freude daran zu haben und Geduld... Geduld braucht man hier für alles. Wird es kein Frühling, Geduld, geht es der Mama schlecht, Geduld. Gibt es Probleme mit Geld, Geduld. Gibt es eine Pandemie, Geduld. Erfrieren die Tomaten oder essen die Schnecken den Kohl auf, Geduld. Der da oben macht das schon, so wie er es für richtig hält. Geduld.

Hier ist es einfach möglich, das man sich auf die kleinen Freuden besinnt. Wir haben natürlich einfach die Zeit dazu. Stefan brachte einen Zweig mit von einem Feigenbaum und stellte ihn ins Wasser. Es dauerte Wochen, bis eine kleine Wurzel zu sehen war. Als sie kräftig genug war, pflanzte er ihn in einen Blumentopf mit bester Erde. Jeden Tag ging er hin, um zu sehen was passiert. Das Bäumchen verlor seine Blätter, alle. Er beschnitt ihn und wartete Wochen. Dann das erste neue Blatt. Das sah gar nicht aus wie ein Feigenblatt. Aber welches danach kam, das sah so aus, endlich! Er wuchs gut und irgendwann pflanzte er ihn in die Erde an einen Standort, wo sein Feigenbaum wachsen sollte. Er ging jeden Tag dorthin um zu sehen wie es ihm ging und erfreute sich daran. Wochen später wurde er gelb. Alarmstufe rot. Er pflanzte ihn wieder aus. Erst einmal in ein Glas Wasser, mal sehen, ob er sich erholt. Geduld. Wiedermal. Ich werde berichten.

Die Griechen, sie sind wirklich gastfreundlich. Das weiß man ja schon. Kommst du das erste mal, bist du der Fremde, das zweite mal der Freund, beim dritten mal gehörst du fast schon zur Familie. Ich war einmal auf Naxos in einem Bergdorf, da suchten wir eine Taverne oder ein Kafenion. Wir fragten eine Bäuerin, wo es in der Nähe so etwas gäbe, sie sagte, nein bei uns nicht mehr, aber wozu eine Taverne, kommt doch einfach rein, wir essen sowieso gleich und ihr seid eingeladen. Was wir dort erlebten war griechische Gastfreundschaft, die fast nicht mehr zu überbieten ist.

Wir aßen und tranken nur das beste, alles aus eigener Produktion, Ziegenkäse, Fleisch, Wein, Kartoffeln, Gemüse...

Irgendwann ein oder zwei Jahre später kamen wir wieder mit Fotos, die wir damals dort machten. Und wurden geherzt und umarmt als gehörten wir zur Familie. Als wir gingen, weinte die alte Eleni.

Taucht man tiefer in die Freundschaft ein, gelten aber scheinbar Regeln, die haben wir noch nicht so genau verstanden. So kann es sein, dass man im Winter zusammen Chorta gesammelt und geputzt hat, Kaffee getrunken hat, Dinge repariert hat, zusammen Fischsuppe gegessen hat und irgendwann später, wenn der Sommer da ist, grüßt man sich gerade nur noch so. Und man weiß nicht was passiert ist. Fragt man nach, dann ist nichts, oder sie haben viel zu tun. Geduld. Ein paar Monate später kann dann alles wieder so sein wie immer, ohne Erklärung. Als wenn nie was gewesen wäre. Und wenn man fragt, was war denn? Wieso, was soll denn gewesen sein, keine Ahnung, alles ist doch gut jetzt. Und nur das zählt: das Hier und Jetzt.

Hat man gute Gesellschaft, eine gute Parea, ist alles bestens. Das habe ich gelernt. Alles Negative wird erst mal beiseite geschoben, heißt es doch, den Moment zu genießen, den kann einem ja keiner mehr nehmen. Der gehört hier und jetzt mir. Über Probleme kann ich später auch noch nachdenken. Wenn es denn sein muss auch später verzweifeln. Muss ich aber nicht, was sollte das auch bringen? So die einfache Reihenfolge der Dinge. So meine Erfahrungen oder Beobachtungen.

Die Griechen, vor allem die Männer, wollen Helden sein und sagen, es interessiert sie nicht ob sie geachtet werden oder nicht. Aber das ist nicht wahr. Sie brauchen das wie die Luft zum Atmen. Sie geben gerne ihr Wissen weiter und sind Lehrmeister. Dann sind sie in ihrem Element, lebendig und erfüllt von Stolz. Umgekehrt ist es aber oft dramatisch. Wenn man die kostbaren Erfahrungen und wertvollen Hinweise nicht beachtet und sich obendrein, sie scheinbar ignorierend, anderen Menschen oder Dingen zuwendet. Dann kann es sein, dass sie verletzt sind und man ein Jahr braucht, um wieder daran anzuknüpfen, wie es vorher war. Oder es es wird nie wieder so.

 

Eine hundertprozentige Zuverlässigkeit gibt es hier eher selten. Sie gibt es, aber sie ist nach meiner Erfahrung nicht charakteristisch. Man darf einfach nicht alles wörtlich nehmen was die Zukunft betrifft. Also zum Beispiel sagte Tzortzis einmal, ich nehme euch mit zum Angeln. Ich frage wann. Gegen eins. Kommt hier zum Laden. Schöne Idee, wir waren also pünktlich schon vor eins am Laden, mit Kameraausrüstung, Rucksack mit Sachen und Snacks und Wasser. Aber der Laden war zu und kein Tzortzis weit und breit. Wir warteten bis zwei.

Am nächsten Tag fragte ich ihn, wo er denn war. Er sagte nur beiläufig und als wäre es das Normalste der Welt, na wir sind schon um zwölf runter wegen des Wetters. Ich sage, wir haben gewartet, er darauf, na dann eben ein anderes mal. Punkt.

Daraus lernt man. Nie wieder habe ich einen Termin hier so ernst genommen. Ich habe eher die Einstellung angenommen, dass wenn es klappt, dann klappt es, wenn nicht dann ein anderes mal oder nie. Das mit dem Angeln wurde nie was, später hatte er dann auch kein Boot mehr. Aber nicht so schlimm. Es kommt irgendwann eine andere Gelegenheit.

Ich kann hier nur von meinen eigenen Erfahrungen sprechen, das kann ja jedem Menschen anders gehen, oder er kann es anders sehen.

Jedenfalls war es ja die Frage, ob ich oder wir uns verändert haben, in dieser anderen Umgebung, anderen Kultur und dem anderen Gemüt mit der berühmten Gelassenheit.

Färbt das ab, wenn man mittendrin lebt?

Ich gehe weiter der Frage nach und merke, dass in diesem neuen Leben hier Termine kaum noch eine Rolle spielen. Mein dickes Kalenderbuch war in Berlin immer voll. Manchmal standen da drei Termine noch nach der Arbeit. Auch schöne Termine wie Freunde oder Familie treffen, Griechisch-Unterricht oder Pilates oder Physiotherapie oder, oder... Aber doch Termine. Sie zwingen einen, auf die Uhr zu schauen und den Kopf nicht mehr frei zu haben für den Moment. Es gab auch Situationen wie Migräneanfälle, Erkältungen oder ähnliches, da musste man alles absagen. Und das Leben ging weiter. Siehe einer an. Das war der erzwungene Stillstand, den man auch genießen konnte. Trotz Kopfschmerzen.

Das fällt hier komplett weg. Diese Termine. Es gibt dennoch einen Rhythmus. Früh aufstehen, manchmal mit der Sonne. Käffchen, Gartenarbeit, Aufräumen, Wäsche, Computer .... Wir frühstücken später, frisches Brot gibt es ab zehn beim Bäcker. Ich lass mir Zeit, gehe in den Garten und schaue, was ich für einen Salat nehmen kann. Für alle diese Dinge können wir uns Zeit lassen. Zeit, wir haben Zeit. Was für ein Luxus.

Arbeit gibt es genug, aber sie ist freiwillig. Meist ist es künstlerische Arbeit, Musik, Schreiben, Filmen. Neben der normalen Haus- und Gartenarbeit. Stefan hilft überall wo er kann. Und er kann fast alles. Es macht Spaß. Und wenn man erschöpft ist, legt man sich hin oder geht spazieren. Morgen ist auch noch ein Tag. Übermorgen nicht zu vergessen.

Wir erahnen die griechische Gelassenheit.

Nur wenn die Griechen über Politik reden, ist Schluss mit der Gelassenheit.

Das könnten sie immer und immerzu. Und sie streiten und diskutieren lautstark. Zur Zeit ist es ganz schlecht, es gibt diese Treffpunkte nicht mehr. Alles zu. Und wenn man über das aktuelle Thema redet, redet man leise und nur mit vertrauten Personen.

Mir ist auch aufgefallen, dass der Fernseher jetzt nicht mehr pausenlos läuft, so wie früher. Ich frage nach und erhalte als Antwort kurz und bündig: wozu? Wer will das noch sehen? Jeden Tag die gleichen Bilder.

 

Griechenland hat etwas „Ostiges“ fand ich schon immer. Viel improvisieren, viel läuft über Beziehungen, hast du das, gebe ich dir das. Man repariert einen Wasserhahn und bekommt frischen Honig. Es wird überhaupt alles repariert, nicht gleich neu gekauft, Ersatzteile sind nicht so teuer, also lohnt sich das auch. Die elektrischen Leitungen hängen kreuz und quer irgendwie in der Gegend herum, jeder hängt sich noch sein Internetkabel dazu. Wie es eben gebraucht wird. Und sie sehen trotzdem noch durch.

Die Autos werden meistens gefahren bis kurz vor dem Auseinanderfallen, alles geht irgendwie, zur Not schaut Dimos mal nach, was da klappert. Tzortzis wollte sich schon lange einen neuen Pickup kaufen. Aber er kam immer mit leeren Händen wieder. Gefällt ihm alles nicht, zu neu. Außerdem fährt der alte ja noch, auch wenn er nicht mehr richtig bremst, aber wen interessiert das schon hier.

 

Ich bin immer noch bei der Frage, ob ich mich verändert habe, seitdem ich hier bin. Ich kann darauf nicht wirklich antworten. Natürlich verändert man sich im Laufe der Zeit, man entwickelt sich, macht Erfahrungen, passt sich auch immer wieder an das momentane Umfeld an, oder ist es nicht so?

Ich war ein anderer Mensch, wenn ich auf der Arbeit war, ich war ein anderer Mensch, als ich den Kinderwagen durch die schöne heile Welt schob, ich war ein anderer Mensch, wenn ich im Atelier malte, ich bin ein anderer Mensch, wenn ich griechische Musik spiele, ich bin ein anderer Mensch, wenn ich auf einmal wieder über Politik rede und kritisch bin. Ich bin ein anderer Mensch, wenn ich spazieren gehe, nur ich alleine mit mir und den ganzen anderen Menschen in mir, wenn ich diese alle zusammenbringe inmitten von Margeriten und auf das endlose Meer schaue und schreien könnte vor Freude, vor Sehnsucht, vor Wut, vor Traurigkeit. Aber alles zusammen bin doch immer noch ich.

 

Ich denke es gibt immer diese Abschnitte oder Momente im Leben, wo das eigene Wesen, was oder wie man ist, stärker hervortritt und man dann dementsprechend lebt. Und diese Zeit im Leben, wo andere Wesenszüge oder Bedürfnisse wichtiger werden. Sind wir dann trotzdem noch dieselben?  

Winterlicht

Noch mal zurück in die Vergangenheit....

Oft fragen uns die Griechen, ob wir aus dem Osten sind. Ja sagen wir. Das merkt man, sagen sie, ihr seid uns sehr nah. Dann wollen sie wissen: wie war es in der DDR, wie war das mit der Stasi? Alle Griechen kennen diesen Film „Das Leben der Anderen“. Das war ein Bestseller hier. Darüber war ich erstaunt. Sehr sogar. Ich fand es immer schwer, darüber zu reden, weil ich konnte es nur aus meiner Sicht erklären. Und so aus dem Stand geht es oft nicht. Aber es bewegte mich dazu, darüber nachzudenken. Wir lebten gut. Alles andere wurde größtenteils verdrängt.

Seit etlichen Jahren hatte ich keine Nachrichten mehr geschaut und keine Zeitung gelesen. Nur sehr selten, wenn man an etwas nicht mehr vorbeikam. Die Politik interessierte mich so gut wie nicht. Ich, glaube ich, hatte einfach keine Zeit und keinen Nerv dafür und naja ändern kann man ja auch nichts. Stimmt das eigentlich?

 

Hier muss ich noch einmal an meinen letzten Blog anschließen, da schrieb ich auch schon kurz von dieser Zeit. Ja, sie gehört nun mal zu meinem Leben und hat uns geprägt. Ich muss zurückgehen auf die Jahre kurz vor der Wende.

1989. Wir gingen auf die Straße um etwas zu bewegen, zu verändern. Und auch schon davor. Anlass gab es damals genug. Wir gingen in die Kirche, wo es möglich war, kritische Stimmen zu hören, wo es möglich war, Punkrock zu hören, wo wir gemeinsam sangen für eine bessere, gerechtere Zukunft, auch für unsere Kinder. Wir mussten in dieser aufregenden Zeit erleben, wie Freunde oder Bekannte eingesperrt wurden oder später in den Westen verkauft wurden, weil sie für die normalsten Menschenrechte auf die Straße gingen. Oder wie Studenten exmatrikuliert wurden, die ein verbotenes Buch aus Prag mitbrachten. Diese Leute wollte man hier nicht haben. Weg damit. Gab es keinen rechtlichen Grund, wurde einer erfunden. Man hatte nur das zu reden, zu hören, zu malen, zu schreiben, zu singen und zu dichten, was regierungskonform war.

Irgendwann sickerte aber doch was durch, wir empfingen ja auch das Westfernsehen, hatten heimliche Treffen mit Kritikern, darunter gab es viele Künstler, die nicht mehr nur nach den Vorgaben der Regierung Kunst machen wollten oder gar nicht konnten, denn dann ist es ja keine Kunst mehr, sondern Auftragswerk.

Viele dieser Künstler mussten gehen. Es waren ja schließlich Staatsfeinde. Es betraf irgendwann fast jeden persönlich und dann wurden es immer mehr. In meiner rebellischen Jugend versuchten wir vieles und erreichten eigentlich nichts. Aber wir waren anders, als der „Aktuelle Kamera“-Seher und das war schon mal gut und wichtig für mein Ich.

Vielleicht war es ein Leben in einem gefühlten, goldenen Käfig, wir wuchsen sorgenlos auf, meine Kinder auch.

Alles was störte war für das damalige DDR Regime schlecht. Es wurde vertuscht, gelogen und verdreht, um das System aufrechtzuerhalten. Was nicht passte, wurde passend gemacht. Punkt. Schaute man weg, war die Welt in Ordnung. Uns ging es gut! Aber Käfig bleibt Käfig. Ob Gold oder Silber.

1979 wurde ich das erste mal Mutter. Ich wurde ruhiger, das Leben war ja auch schön, die Blumen blühten im Frühling und im Winter rodelten wir am Weißen See. Im Sommer fuhren wir ins Vogtland, da hatte meine Mutter ein Häuschen, das Haus ihrer Mutter. Es war ein Paradies. Die Kinder planschten in der alten Zinkwanne, wir gingen in den Wald, um Pilze zu suchen. Hier gab es auch keine Termine. Damals gab es eh wenige Termine. Ich hatte jedenfalls nie einen Kalender, wo ich alles eintrug. Es gab mal einen Zettel an der Pinnwand mit einem Hinweis, zum Beispiel Elternversammlung am Mittwoch. Uns ging es gut.

1989 wachte ich wieder auf und zog von Treffen zu Treffen und ging auf die Demos.

Wir hätten nie geglaubt, dass es was bewegen könnte. Wir wollten einfach anders sein, es war wie ein Wunder. Die Grenzen wurden geöffnet. Keiner konnte es so richtig glauben. Diese Freiheit waren wir nicht gewohnt. Man sprach von einer friedlichen Revolution.

Dann waren wir Ossis im Westen. Irgendwann verlor ich wieder das allgemeine Interesse für Politik. Bei diesem ganzen Parteien-Kram sah ich eh nicht durch und wollte nicht mitreden. Betraf mich auch nicht direkt, das Ganze.

Bis Corona kam. Da kommt keiner dran vorbei. Auch wenn man es versucht von sich fernzuhalten. Auch wenn man glaubt man macht alles richtig. Ich glaube nicht, dass wir daran vorbeikommen, ich glaube nicht, dass alles richtig ist. Ganz und gar nicht. Aber das ist eine andere Geschichte, die erzähle ich in ein paar Jahren. Rückblickend.

 

80 er

Es ist April …

Wieder drei Tage eiskalter Nordwind, nur die Sonne wärmt uns an einer windstillen Stelle. Nun gut, das Sommerkleid wieder in den Schrank. April.

 

Sofia, die Tochter der Liotrivi-Taverne; bekommt im Mai ihr erstes Kind. Ich mochte Sofia schon immer, ich glaube alle mögen sie. Im letzten Jahr hatten wir mit ihr hier auf Anafi ein Video gedreht zu einem Lied, das sie geschrieben hatte. Ich habe darüber im Blog 2 berichtet,. Hier nochmal der Link zum Video:

https://youtu.be/sP8YtAEc0Jw

 

Gestern und Vorgestern war das Impfteam auf Anafi. Alle, die wollten konnten sich impfen lassen. Sie fahren von Insel zu Insel. Man muss die griechische Krankenversicherungsnummer haben.

Ich habe gehört, dass sich 180 dafür angemeldet hatten. Mit diesen Inseln wirbt man jetzt als coronafreie Urlaubsinseln.

Griechenland will ab 14. Mai das Land öffnen für den Tourismus. Sie sagen, es sei so gut wie sicher. Woher sie diese Sicherheit nehmen, frage ich mich. Aber uns freut es natürlich, erwarten wir doch sehnlichst unsere Freunde. Hoffen wir das Beste für alle!

 

Hoffen wir, dass es uns gut gehen wird in der Welt nach Corona. Hoffen wir das Beste! Ich glaube, dies ist wiedermal ein Kerzlein wert in der kleinen Kirche am Platz. Es ist nicht so schwer hier, an das zu glauben, was man sich wünscht. Der Glaube kann Berge versetzen, so sagt man es doch. Nur Geduld sollte man haben.

Die Prevelis