7. Paradiesvogel-Strauch und gelbe Fischernetze

4. Juli 2020

Ich habe heute Geburtstag und Stefan stellt mir eine Vase mit einer Paradiesvogelstrauch-Blüte auf unseren runden hellblauen griechischen Tisch. Wir schauen auf das Meer und auf die drei Inseln gegenüber, eingetaucht in dieses griechische Licht, genießen den angenehmen Wind auf unserer Haut und die Sonne hinter der Markise.
Da sitzen wir nun und haben es schön.

Wir gehen früh zum Hafenstrand und schwimmen um die Mole herum, gehen zu Martha auf einen kühlen Orangensaft, ja etwas später dann auch noch ein Bierchen, man hat ja nicht jeden Tag Geburtstag! Man könnte ja auch einen Bus später nehmen, wenn es gar nicht anders geht. Wen soll das schon stören.

Am Abend gehen wir bei Takis vorbei, in seinem Hof spielen die beiden Jungs ein paar Lieder für mich. Er sagt, ich kann mir was zum Geburtstag aus seinem Lädchen aussuchen. Ich sage, das hier ist doch Geschenk genug! Takis und Stefan zusammen zu hören, ist wirklich schön, und wenn sie zweistimmig singen, dann ist es ein Genuss. Anspruchsvoller Rembetiko.

Unsere Freunde aus der Schweiz haben ein Päckchen mit echter Schweizer Schokolade geschickt. Die gibt es dann noch zum letzten Bierchen. Und Trüffel-Konfekt, wunderschön im kleinem Päckle verpackt, die aber heben wir uns noch auf. Emilio hat für mich ein Geburtstagslied gesungen mit seiner Gitarre, ein rührendes kleines Video.

Jeden Tag, nach wie vor, sagen wir uns, wie schön ist das Leben hier, fragen wir uns, wie kann das sein, dass wir das Glück haben, dieses zu genießen. Oder ist es kein Glück, sondern einfach nur das Ergebnis einer kurzfristigen Entschlossenheit, ein ganz klein wenig Mut und einer hervorragenden Ausgangsposition, die wir blitzschnell nutzten, bevor sie wieder verblassen würde. Wie viele „wenn und aber“ haben wir gehört, die scheinbaren Sicherheiten aufzugeben, die Familie, die Freunde, die geliebten Orte, das Atelier, das Musikstudio, die geliebten Dinge zu verlassen, die jahrelang unserer Leben begleiteten. Nein wir haben nichts aufgegeben, wir haben alles im Herzen, was uns wichtig ist, oder wir haben einfach neu sortiert, aus den Regelmäßigkeiten eine neue Intensität geschaffen.

Und, wir haben eine andere Art von Sicherheit gefunden, den Glauben und das Vertrauen in ein anderes Dasein im Irgendwo, mit einem anderen Anspruch und mit einer anderen Konzentration auf das Leben und dem Fokus auf das Ich und Wir. Auf einer kleinen Insel mit einem Dorf, inmitten der Ägäis. Wir leben dieses Leben nun drei Jahre, der Glaube und das Vertrauen darin wächst, die Konzentration auf die Dinge wird immer intensiver. Das Ich und Wir könnte man auch Liebe nennen.

Die vielen materiellen Dinge fehlen uns nicht, es ist das Wenige, was uns reich macht, was uns Zeit für uns selbst lässt. Das klingt logisch, ist es auch. Für uns. Wie es für andere Menschen ist, kann ich nicht sagen, das sollte jeder für sich herausfinden. Mit seinem eigenen Glauben und Ansprüchen oder auch Zielen. Wenn man einen Traum vom Leben hat und es kein „aber“ mehr gibt, dann beginnt der Weg. Egal wo er hinführt. Egal mit welchen Werten und Bedürfnissen.

 

16. Juli 2020

Heute gehen wir mal aus! Im Steki spielen nun täglich drei Musiker Rembetiko. Das schauen wir uns einfach mal an, man kann ja auch ein Bier dazu trinken oder zwei, je nachdem. Glück gehabt, Irini ist auch da, und wenn Irini da ist, ist Stimmung, sie singt irgendwann mit, wenn sie noch nicht zu viel Raki getrunken hat, oder vielleicht dann erst recht. Es sind ausschließlich Griechen hier. Aber voll ist es noch lange nicht. Maria, die Tochter der Taverne begrüßt uns und erzählt, letztes Jahr um dieses Zeit standen die Leute sogar mit dem Bier in der Hand in der Gasse, weil es keine Plätze mehr gab. Dann ist das Arbeit für sie. Jetzt, sagt sie, ist es wie Urlaub. Irgendwann fängt Irini an zu singen und es ist, als wenn jemand einen Schalter umlegt. Eine energiegeladene Stimmung und Stimme. Ihr Gesang ist einmalig.

Am nächsten Morgen schreibt uns Agapia eine Nachricht, fragt, ob wir mitkommen zum Friedhof, eine Kerze anzünden für ihren Papa, er hat seinen Todestag. Als wir bei ihr ankommen, sagt sie, sie könne doch nicht gehen, der Rücken tut ihr weh. Sie zündet dann eben in ihrer Küche ein Kerzlein an, das sei doch das Gleiche. Wir sagen, wenn sie will, gehen wir zum Friedhof. Das findet sie gut und sie gibt uns ein Feuerzeug mit, Kerzendocht, und Weihrauch und einen kleinen Topf mit Basilikum. Das hat bestimmt eine Bedeutung. Kurz vor dem Eingang des Friedhofes steht das kleine „Gebein-Häuschen“ von Agapia´s Familie. An den Fotos die darin aufgestellt sind, sehen wir, wer alles dort liegt. Also die Gebeine derjenigen, hübsch eingepackt in einer silbernen Kiste.

Hier ist es üblich, die Toten nach circa drei Jahren aus dem Grab zu holen und von Erdresten und Pilzen zu säubern. Das machte bei Agapia`s Tante die Frau vom Schäfer Sotiris. So unbeeindruckt wie sie es tat, machte sie es jedenfalls nicht zu ersten Mal. Aber wir sahen es zum ersten Mal. Der Schädel wird behutsam mit gutem Wein gewaschen, die Haare entfernt, dann alle anderen Knochen gesäubert, als wäre es das Normalste von der Welt. Nur Agapia war betrübt und schaute wie hypnotisiert zu. Der Pfarrer sang dabei seinen Psalm und dann kam alles in die silberne Kiste und diese wurde dann ins Gebein-Häuschen gebracht. Und ein Foto von Tante Kalliopi wurde aufgestellt. Ein Foto, das ich vor ein paar Jahren von ihr machte.

 

20. Juli 2020

Wir lassen keinen einzigen Morgen aus, um zum Hafen hinunter zu gehen. Immer wenn wir dann unten nach dem Schwimmen auf unserem Handtuch an der Mole sitzen, sagen wir zu uns: das sollte man keinen Tag versäumen. Das Wasser ist ein Traum, das morgendliche Treiben am Hafen zu beobachten gefällt uns. Vieles wiederholt sich jeden Tag. Bei Martha sitzen um diese Zeit die Arbeiter des Stromhäuschens oder andere Bauarbeiter und manchmal sitzt auch Tzortzis da, wenn er Lust hat auf Parea. Dann kommt allmorgendlich eine blonde Frau mit ihrer großen Tasche und dem Campingstuhl und dem Sonnenschirm. Und zwei ältere Herrschaften kommen, sie haben sich am ersten Tag zwei Liegen mit einem großen Schirm mitgebracht und diese bleiben da eben immer stehen, man kommt ja wieder. Wir haben unser Plätzchen immer an dem alten Bootsanleger, auf einem alten Fischerkahn. Da können wir unsere Sachen gut im Schatten unterstellen. Noch etwas später, kommt ein Papa mit seinen drei Töchtern. Das Auto stellt er genau auf die Mole, man muss ja nicht unnötige Wege gehen. Sie kommen aus Zypern. Zuerst müssen die Kinder Steine sammeln, damit sie die Handtücher fixieren, an jeder Ecke einen Stein. Drei Handtücher. Das dauert dann ein bisschen. Dann aber, der Papa holt die Surfbretter und die Paddel dazu und noch eine aufblasbare Schwimminsel und ab die Post. Jeden Morgen, seit Tagen. Genau so.

Einmal lag ein riesengroßer Fisch, ein Rochen auf dem Kai, und ein paar Leute standen darum herum und beratschlagten. Dann kamen noch zwei andere Männer zu Hilfe und hievten das Ding auf eins von den Surfbrettern und der Töchter-Papa paddelte mit dem Rochen hinter die neue Mole. Dort, sagte er uns, können ihn die Fische fressen. Hier an Land würde er nach einem Tag anfangen zu stinken. Wie er auf den Anleger gekommen ist, weiß keiner, wahrscheinlich von einem Fischer, der ihn im Netz hatte und nicht wollte, warum auch immer.

Am nächsten Tag treffen wir Efi am Kai, sie hat einen Eimer Wasser in der Hand und geht zur Bootstreppe. Dort holt sie drei große rote Fische aus dem anderen Eimer und wäscht und putzt und schuppt sie und nimmt sie am Schluss aus. Alles in einer gebückten Haltung, ich frage, ob ihr der Rücken nicht wehtut, sie sagt, ja er tut weh aber was soll man machen. Sie ist bestimmt schon an die achtzig. Ich durfte Efi noch mit den Fischen fotografieren, sie sagte, einen Moment und nahm die beiden Größten in die Hand und schaute in die Kamera. Voller Stolz.
Ihre Töchter bewirtschaften ihre hübsche kleine Taverne in der Chora, direkt in der engen Gasse, schräg gegenüber von Agapia. Und Zimmer vermieten sie. Ihren Mann Antonis, sahen wir im Frühling dort die Wände streichen und er repariert wohl alles noch selber. Er ist auch schon über achtzig Jahre und hat immer einen lustigen Hut auf. Aber im Hafen haben wir ihn noch nie gesehen.

Der Hafen ist im Winter wie ein ausgestorbener Ort. Die Häuser drohten teilweise zusammenzufallen, die Farben verblichen und abgeblättert, die Eigentümer alle in Athen oder in der Chora. Im Winter wohnt man nicht am Hafen. Nur wenn Ioanna drei mal die Woche ihren Laden nachmittags um fünf für zwei Stunden öffnete, kam ein Hauch von Leben in die Dunkelheit. Manchmal sah man auch ein paar Arbeiter, die auf der Schwimminsel mit dem großen Bagger wohnten, als die Mole gebaut wurde. Aber dann kam Corona und keiner arbeitete dort mehr.
Außer Ioanna. Es sprach sich im Dorf herum, dass sie immer frisches Obst und Gemüse hat und viele Sachen billiger sind als im Minimarkt oben. Und man sah zu den Öffnungszeiten immer die Autos hoch und runter fahren.

Jetzt im Sommer ist der Hafen wie verwandelt, die Häuser wurden gestrichen, sogar restauriert , überall Töpfe mit verschiedensten Pflanzen, die Türen blau lackiert. Stühle und Tischchen davor gestellt, damit es schön aussieht. Oder wenn man mal eine Pause machen will. Marthas Café mit ihren lustigen im Wind flatternden Bananenblätter-Schirmen. Nektaria´s Taverne mit ihren buntbemalten Stühlen.
In den Bootsgaragen sieht man die Fischer an den Netzen flicken. Der alte Manolis kommt fast jeden Tag. Und repariert in aller Seelenruhe die gelben Netze, damit die Zeit vergeht. Er muss als alter Fischer immer was zu tun haben. Immer unten am Meer sein. Wenn er mich sieht, sagt er Jassou, nimm einen Stuhl und setz Dich. Ich schaue ihm zu und kann kein System erkennen, wie er die Löcher im Netz zusammenflickt. Aber mit den Füssen wird das Netz kunstvoll gehalten und weiter bewegt. Er sagt, die Delphine zerstören sie, um an die Fische zu kommen, da draußen gäbe es viele. Ich glaube, die Fischer können die Delphine nicht leiden. Ich selber habe noch keinen hier gesehen.

Dann erzählt er etwas Lustiges und lacht lauthals über seinen eigenen Humor. Nur Laufen kann er ganz schlecht. Die Knie. Wir hatten ihm letztes Jahr Kniebandagen mitgebracht, aber er zeigt sie uns, sie haben ausgedient. Wann wir denn wieder mal nach Deutschland fahren und ihm Stützstrümpfe mitbringen könnten. Aber in diesem Sommer bleiben wir hier. Vielleicht kann einer von unseren Freunden ein Paar mitbringen. Antonis, sein Sohn schaut auch mal rein und schimpft über den Wind, da kann man gar nicht in Ruhe aufs Meer zum Fischen. Und dann will er wissen, was so in Deutschland los ist mit Corona und wir sagen nicht so viel und er sagt, sie gehen abends nicht aus, dann kann ihnen auch nichts passieren. Sie bleiben unter sich. In der Taverne seiner Familie sieht man ihn abends sein Bier trinken, drinnen, im Küchenraum, manchmal gesellt sich noch ein Anafiot dazu. Früh geht er zum Platz oben in der Chora und verkauft seine Fische. Wenn der Fang gut war.

An der neuen Mole liegen bis jetzt meistens nur die Fischerboote, und manchmal auch ein Segelboot, was von weiter her kam.
Der Fischer Tassos ist immer da, mit seiner jüngsten Tochter und sie säubert die Netze von kleinen Fischen und alten Muscheln und anderem Meeresgestrüpp. Sie benutzt dazu einen Hammer und klopft das Hängengebliebene klein, damit es abfällt. Das Klopfen hört man dort am Hafen jeden morgen. Hafenmusik. Stundenlang.
Und da ist natürlich das Boot von Antonis, wo er auch die Netze säubert und wenn sie beschädigt sind, seinem Vater Manolis bringt, der immer was zu tun haben muss.
Aus dem winterlichem Geisterort wurde ein hübscher, kleiner, beschaulicher Hafen. Das Leben ist in die Häuser zurückgekehrt.

29. Juli 2020

Takis hatte den Wunsch, dass wir im Anemos spielen. Es war unser erstes Konzert seit fast einem Jahr wieder. Es war ein sehr schöner Abend, die Leute waren sehr angenehm und auch aufmerksam und wir, wir spielten gut. Als wir das Lied vom Fischer spielten, kam aus der Küche ein Hoppa! Vom Fischer Antonis. Dann weiß man, dass alles richtig ist und gut.

Vorgestern kam unser kleiner Kater Paule mit uns mit zum Abendspaziergang. Das erste mal. Genau wie Niki es immer tat, im Winter, er blieb an den selben Stellen stehen, wo Niki einst stehen blieb um irgendwas zu schnuppern, oder auf einen Baum zu klettern oder einfach nur dazustehen um von oben herab aufs Meer zu schauen. Als Niki schwanger war, trottete sie mit ihrem Bauch immer nur noch ganz langsam hinter uns her, und irgendwann drehte sie um, man sollte sich ja nicht überanstrengen. Und sie ist ja schließlich kein Kind mehr. Seitdem kam sie nicht mehr mit, hatte ja dann auch zu tun. Neulich lag auf unserer Terrasse eine Riesenmaus. Tot. Agapia sagt, das hat Niki für Paule hingelegt, es beginnt die Phase der Ausbildung. Sie bringt ihm aber auch kleine Eidechsen, die gibt es hier natürlich mehr als Mäuse, aber wir mögen es nicht. Danach fragt aber die Natur nicht. Für sie ist es Nahrung, hier geht es ums Überleben. Das Trockenfutter rühren sie kaum noch an, entweder sie holen sich von den Gästen ringsherum was Leckeres oder fangen sich selber genug. Paule ist jetzt drei Monate und frech und klug und lustig. Hat keine Scheu vor keinem Menschen, springt wie ein Hündchen den Leuten ans Bein und hoppelt wie ein Hase durch die Gegend. Er rennt immer noch ständig seiner Mama hinterher, springt sie an und will immerzu spielen und trinken, und Niki lässt ihn noch immer. Irgendwann vor einem Monat vielleicht, ließ sie ihn nicht mehr an sich heran. Sie fauchte und knurrte ihn an, so wie es Katzenmütter mit ihren Kindern in einem bestimmten Alter machen. Er aber blieb unermüdlich, nahm das überhaupt nicht ernst, und sobald sich Niki irgendwo hinlegte, kam er hinterher und versuchte an ihre Zitzen zu kommen. Niki aber hatte da überhaupt keine Lust mehr drauf, stand wieder auf, er hinterher, mit der Schnauze Richtung Zitzen und weiter weg legte sie sich wieder hin. Die Müdigkeit übermannte sie vom ganzen Mutterdasein, aber Paule war längst schon wieder da … so ging es immer weiter, bis er es dann doch geschafft hatte. Nun bleibt sie inzwischen wieder einfach liegen, es ist ihr alles viel zu anstrengend und zwecklos und überhaupt, was soll man machen, Paule ist eben ein Ödipuskater.

 

26.Juli 2020

Sechs mal in der Woche kommen jetzt Fähren, die Insel wird langsam voll. Es ist das letzte Juli-Wochenende, Samstagnacht, da gehen wir natürlich spazieren im Dorf und auf einmal ist alles voller Leute. Der Bäcker hat bis in die Nacht auf, der Supermarkt hat auch noch Licht an. Im Steki ist es rappelvoll und es spielen immer noch die drei Jungs Rembetiko, im Armenaki singt Marko, auch hier viele Menschen, die Tische dicht nebeneinander, wie früher eben.
Nun hat auch endlich das Sokaki aufgemacht, das geliebte Souvlatzidiko an der Gasse. Und schon wird es lebendig auf dem Dorfplatz. Fast wie immer. Das müssen wir feiern. Kalamiotissa bringt uns zwei Bier und zwei Spieße. Sie muss eine Maske tragen. Es ist so heiß darunter sagt sie. Aber was soll man machen, keiner weiß wie es weiter geht. Die Coronazahlen steigen in Griechenland plötzlich wieder an.

Aus den Lautsprechern klingt Inselmusik. Die älteren Herren sitzen daneben auf den Bänken. Die Kinder rennen kreischend wie verrückt durch die Gassen. Ein Roukounas-Strandtyp mit Vollbart und Hut isst auf der Stufe vor dem Bäcker eine Käsepita. Unterhalb aus der Szenebar tönt Jazzmusik.

Es ist fast wie immer. Fast.

 

 

Der Strand am Hafen Ende Juli

Beim Fischer Manolis und Antonis

Musik im Steki / Musik im Anemos 

Hafenbilder

Sokaki und Dorfplatz Ende Juli

Paule und Niki

Abendrot und Morgengrauen