4. Rote Ostereier und ein neues Leben mit Rembetiko

Dienstag, 21. April 2020

 

Ostern ist vorbei. Das wohl wichtigste Fest für die Griechen ging fast unbemerkt vorüber. Wenn es gemeinsame Essen gab, dann nur privat in gemütlicher Runde. Der Grieche kann nicht ohne Parea das Osteressen genießen. Geht nicht. Parea, das ist mit das wichtigste Wort in Griechenland. Es umschließt den Freundeskreis oder die Gesellschaft, in der man sich befindet, die Leute, die man trifft, mit denen man zusammen erzählt oder feiert oder auch einfach nur spazieren geht. Hauptsache nicht allein. Am wohlsten fühlt sich der Grieche nun mal in Parea. Das Festessen alleine essen? Nein.

 

In der Kirche sang der Pope einsam seinen Psalm. Wenn man wollte, konnte man reingehen und eine Kerze anzünden. Natürlich einzeln. Ostersamstag machten wir unseren Dorfspaziergang. Hier und dort rauchten die Anafi-Öfen. Sie stehen meistens neben dem Haus und früher wurde dort regelmäßig das Brot gebacken oder auch Fleisch. Heutzutage werden sie meist nur zu besonderen Anlässen angefeuert.

Wer keinen eigenen Ofen hat, bringt an Ostern seine Bratpfanne mit dem Ziegenfleisch zum Nachbarn. Dort sammeln sich dann die Töpfe aus der Nachbarschaft und das Ofen-Anheizen wird zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis.

Zu Mitternacht waren wir bei Popi und Mattheus, unseren Vermietern, zur traditionellen Majiritza-Suppe eingeladen und es gab auch noch Ziege, sechs Stunden gegart im Anafi-Ofen. Alles sehr köstlich und wirklich authentisch. Popi kocht hervorragend.

Später kam noch Nikos, der Polizist der Insel, das kann ja nie schaden. Und es kamen die Nachbarn Katerina und Antonis. Sie haben Bienen und wir kaufen bei ihnen den Honig. Oder wir bekommen ein Kilo geschenkt, wenn Stefan wiedermal den Herd repariert hat.

Natürlich gab es die üblichen Corona-Gespräche und dann ging es weiter mit Inselgesprächen und sonstigen Problemen aller Art. Irgendwann hörte ich auf, den Gesprächen zu folgen und Stefan ist ja schließlich auch noch da, mit ihm kann ich ja deutsch reden. Ha... Zum Schluss gibt es noch den Rote-Eier-Kampf. Ich habe gewonnen und muss das Gewinner-Ei bis zum nächstem Jahr aufheben.

Soll Glück bringen. Noch mehr.

Am Sonntag gab es Ziege bei Agapia. Sie schickte uns schon einen Tag vorher ein Foto vom Braten und schrieb: absolut perfekt geworden! Es kämen auch noch der Bauer Jakobus und der Kater Grigoris. Und so war es dann auch. Jakobus brachte eigenen Wein mit und dann konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Ging auch nicht. Grigoris saß die ganze Zeit unter dem Tisch und wartete auf Knochen. Dann kam auch noch seine Freundin und beide teilten sich das Ganze solidarisch.

Agapia hat viele Katzen zu füttern, zwölf. Im Oktober fragte sie uns, ob wir das junge Kätzchen Niki mitnehmen wollten. Marko aus Berlin war gerade mit, sah sie …. und schon saß sie bei ihm im Bett. Er fütterte sie, wusch sie mit Shampoo, sie mochte es sogar und saß die ganze Zeit bei ihm und wenn er nicht da war, saß sie in ihrer Kiste, bis Marko wiederkam und sobald er einen Floh fand, wurde dieser entfernt. Dann war Marko ganz stolz und Niki sah wieder aus wie eine Vorzeigekatze. Niki sieht schlau aus. Und sie ist es auch.

Marko aber fuhr drei Wochen später ab und dann kümmerten sich Willi und Iris um sie.

Sie hatten natürlich Mühe, ihr zu erklären, dass man eigentlich nichts im Zimmer zu suchen hat. Das Wetter ist schön und als Katze ist man draußen. Ist aber schwierig, wenn man es anders gewohnt ist und ist auch noch schwieriger, wenn das Futter genau hinter der Zimmertür deponiert ist. Das versteht selbst die klügste Katze nicht. Niki ließ sich immer viel Zeit mit dem Essen, aß etwas, ging kurz woanders hin, sich kurz erholen und dann kamen andere Katzen und wollten auch. Willi hatte ganz schön zu tun, da ein System rein zubekommen. Hatte er doch nicht für fünfzehn Katzen Katzenfutter hinter der Zimmertür.

Dann waren auch Willi und Iris weg und Niki war ab sofort unser Kind. Sie wich uns nicht von der Seite, setzten wir uns irgendwo hin, saß sie schon auf dem Schoss. Gingen wir in den Garten, legte sie sich daneben, gingen wir ins Zimmer, wollte sie auch. Nein damit fangen wir gar nicht erst an. Wir begannen also, die Katze zu erziehen. Immer wenn ihr was nicht gefällt, macht sie so ein Mecker-miau-Laut und inzwischen macht sie ihn schon prophylaktisch, bevor sie den Versuch unternimmt, etwas Verbotenes zu tun.

Irgendwann wurde sie rollig, nicht mal ein halbes Jahr alt und dann ging es mehrere Nächte durch.... Jeder Kater vom Dorf schien verliebt in sie zu sein. Wir waren umzingelt und unserer Revier markiert. Sie genoss es auch noch. Fast rund um die Uhr ließ sie es geschehen, sie kam nicht mal mehr zum Fressen. Kaum war ein Kater weg, flirtete sie mit dem Nächsten. Von uns wollte sie in dieser Zeit nichts mehr wissen. Also, es war hoffnungslos, Niki würde bald schwanger sein und den Rest kennt man ja. Dann war alles vorbei, sie ist kuschelig wie eh und je und schläft den Schwangerschaftsschlaf. In einem alten Durchschlagsieb hat sie es sich gemütlich gemacht. Sie ist ja noch klein. Eigentlich...

Wir machen jeden Abend kurz vor dem Sonnenuntergang einen Spaziergang und Niki kommt mit, wie ein Hündchen...immer hinterher oder vorneweg. Und irgendwann geht sie immer an ein und der selben Stelle pullern, alles ganz ordentlich, Sand weg, Loch fertig, pullern, schnuppern, Sand wieder rauf, nochmal schnuppern und ab. Gehen wir mitten am Tage spazieren, schaut sie uns nur hinterher, das ist nicht ihre Zeit für Ausflüge.

 

24. April 2020

 

Die Insel ist grün. Margeritenfelder. Wunderschön.

 

Agapia und Tzortzis haben einen neuen Gemüsegarten gepachtet. Und wir sind mit dem alten Pickup mitgefahren. Man muss doch mal schauen, wo das Gemüse wächst, das wir essen bei ihr. Und sie sagt, es ist so schön dort.

Und es ist paradiesisch schön dort. Jedenfalls fühlte ich mich so, als wir dort ankamen und ich auf die Beete von oben schaute. Es hatte etwas Göttliches. Wirklich.

Es sind Terrassen. Also ein Gemüsegarten am Berghang. Man schaut auf das Meer, auf die Inseln Amorgos, Astipalea, auf den Kalamosberg und auf die Kartoffelbeete....

Agapia goss die ganzen Beete mit dem Wasser aus der Zisterne, Tzortzis zupfte Unkraut, ich auch und Stefan baute eine Naturtreppe, so dass man von der einen Terrasse zur anderen nicht immer runterrutschen muss.

Man muss doch vorsorgen, sagt Agapia, Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, Zucchini, Bohnen, Salat..... Uns kann nichts passieren hier....Sie betont das immer wieder.

Wir befinden uns ja immerhin in einer Krise, auch wenn man es hier nicht so merkt. Man hört Nachrichten, liest Nachrichten, diskutiert über Nachrichten, leitet Nachrichten weiter. Oder man tut das einfach mal gerade nicht, weil man denkt, jetzt reicht es erst mal, dadurch wird es auch nicht anders. Wir telefonieren vielmehr als früher. Meine Tochter wollte mit ihrer Familie in zwei Wochen nach Griechenland fahren, Freunde aus der Schweiz wollten im Juni nach Anafi kommen, viele andere die wir kennen auch. Es bricht ihnen das Herz. Lange freut man sich auf diese Zeit und dann.... es geht nicht, alle Grenzen sind so gut wie geschlossen, die Inseln lassen niemanden rauf, der nicht hier gemeldet ist. Und die Einheimischen finden das natürlich richtig. Hier gibt es nach wie vor keine Behandlungsmöglichkeiten. Die Fähren aber kommen immer noch regelmäßig

und bringen alles, was die Insel so braucht.

Diesen Zustand zu begreifen, was hier auf dieser Welt gerade passiert, fällt schwer. Obwohl der Zustand, wie er vorher auf der Welt war, auch nicht zu begreifen war. Jeder weiß das, und doch schaut man nur auf das Jetzt, weil man sich in diesem Jetzt einrichten muss. Und damit hat man ja schließlich genug zu tun. Das ist normal.

Natürlich macht man sich auch Gedanken um das Zukünftige... Kann man bald wieder reisen, in Tavernen gehen, an Stränden baden..? Die normalsten Dinge für uns.

Vielleicht wird es dann etwas ganz Besonderes sein, wenn wir das erste Mal wieder mit Freunden ein Bier trinken gehen, wenn wir mit der Familie am Strand unter den Tamarisken sitzen, wenn man seine allerbeste Freundin wieder umarmen darf.

Vielleicht wird es so sein wie ein Fest.

 

Ein Fest für Stefan war auch ein Angebot im Minimarkt: Eine Flasche Amstel: 0,80 Euro, Haltbarkeit bis Ende Mai. Ja so ist das, die Tavernen nehmen gerade kein Bier ab, also müssen wir es wohl zu Hause trinken. Oder am Strand, wenn die Sonne untergeht...ist ja auch romantisch. Ansonsten kostet so eine Flasche 1,90 Euro. Das ist teuer. Die Waren im Markt hier sind viel teurer als auf dem Festland oder auf den großen Inseln. Es gibt fast alles was man braucht, nur eben eine ganz kleine Auswahl von jedem. Manchmal gibt es auch Angebote, so wie jetzt das Bier, aber das ist selten und meistens nur im Zusammenhang mit dem Ablaufdatum. Das Einkaufen geht hier relativ schnell.

Da es nur das Wesentliche gibt, machen wir viel selber: Marmeladen, Liköre, Chutney, Hummus, Käsecreme, sammeln Kapern, Kapernblätter und Wildkräuter, die man dann

süßsauer einlegt. Jetzt gab es mal Avocado und Stefan macht Avocadocreme. Die Kichererbsen kochen gerade auf kleiner Flamme.

 

Der Laden von Ioanna am Hafen hat teilweise ein anderes Angebot und manches ist billiger, so kombiniert man, das ist ja überall so. Wir lassen dann unseren Einkauf unten und laufen hoch ins Dorf. Antonis und Ioanna bringen uns dann unsere Taschen. Sie wohnen ja nebenan.

 

26. April 2020

Wir haben wieder drei Tage Nordwind hinter uns, es ist immer noch April. Den einen Tag geht man schwimmen und liegt in der Sonne herum, aber kaum kommt der frische Nordwind, zieht man sich wieder die warmen Sachen an. Den Abendspaziergang überlebt man nur mit Anorak. Oder auch nicht, man will ja nicht mit der Winterjacke im Frühling in Griechenland herumrennen, was sollen denn die Leute denken. Dann friert man die ganze Zeit und will eigentlich auch schnell wieder zurück. Das ist eher Stefans System.

Wenn wir wirklich mal Einheimischen begegnen, fahren sie in Arbeitsklamotten im Auto an uns vorbei, hupend natürlich, oder spazieren auch Abends ums Dorf mit dicken Jacken. Das ist meistens Panagiotis vom Steki mit seiner Frau oder Giorgios vom Stromhaus mit seiner Frau. Sie kennen ja den Wind und das er an der nächsten Ecke mehr bläst als auf der geschützten Terrasse.

Aber inzwischen gehen auch nachmittags viel mehr spazieren, einmal ums Dorf eben, gerade Frauen, das ist auffällig, das habe ich früher nie beobachtet. Die Liotrivi-Familie oder die Bäckerfamilie, oder die Postfrau mit ihrer Nachbarin oder die Frau vom Baumeister Andreas, sie sieht man jeden Tag laufen. Vor einem Jahr sind wir noch fast die einzigen gewesen, die spazieren gingen, zumindest was wir so gesehen haben, sie haben ja schließlich auch alle ein Auto. Und der Grieche machte, bis vor kurzen jedenfalls, alles mit dem Auto oder Motorrad. Auch den Gang zum Bäcker. Soweit wie man da ran kommt.

Mit dem Motorrad oder dem Quad kann man bis vor die Tür fahren.

Auch der Polizist hatte bis letztes Jahr noch ein kleines weißes, altes Auto. Das ist nicht mehr da. Verbrecher können jetzt ja auch nicht auf die Insel kommen. Also was soll´s.

Jetzt läuft er alles, auch zum Bäcker. Und er geht spazieren, in den Bergen, da sehen wir ihn immer öfter.

Wenn es so weiter geht mit Corona, wird es ab Mai auch den Bus nicht geben. Für wen denn auch? Wenn es warm wird, ist es zwar anstrengend immer hoch zulaufen, wenn man mal schnell baden will, aber spart ja auch Geld. Ha...

Na, man muss ja auch nicht ständig zum Strand, wir sind ja hier nicht im Urlaub.

 

Takis war vorgestern bei uns und wir haben Musik gemacht und

an verschiedenen Liedern gearbeitet.

Er sagt, was wir in den fünf Jahren gelernt haben, ist sehr gut und er ist sehr stolz auf uns und das hat uns sehr stolz gemacht und motiviert ja auch.

Takis ist Gitarrist, seit ein paar Jahren spielt er auch Bouzouki. Er hat aus Stefan einen Rembetiko-Gitarristen gemacht. Rembetiko ist der griechische Blues sozusagen. Und viele Lieder sind aus den dreißiger und vierziger Jahren und immer noch populär. Diese Musikrichtung wird auch von vielen jungen griechischen Musikern gepflegt. Das ist erstaunlich und bemerkenswert. Ich habe es damals zum ersten mal in irgendeiner griechischen Taverne gehört und war berührt. Ich hatte am Ende hunderte CD´s und hörte nur noch diese Musik. Also fast. Ich suchte auch in Berlin Tavernen, wo sie den Rembetiko spielten und so lernte ich auch Stefan näher kennen, damals vor fünf Jahren ungefähr. Er hatte sich eine Bouzouki gekauft, einfach nur so, was andere spielen können, kann er schließlich auch. Aber erst mal hing sie nur an der Wand, neben den zwölf Gitarren.

Also wollte er mal schauen, wie so ein Grieche das Instrument spielt und ging damals mit ins Labyrinth, ein griechisches Restaurant im Prenzlauer Berg. Es war griechisches Ostern und die Sonne schien und griechische Musik war angekündigt. Wir waren eine große Runde, Freunde, die man so kennen lernt, wenn man in die griechische Welt eintaucht. Aber das ist eine extra Geschichte.

Stefan spielte in der Pause zusammen mit Fotis, dem Gitarristen und schon lernte er den 9/8 Takt des Rembetiko. Ich hatte damals gerade angefangen, Tsouras (im Prinzip eine kleine Bouzouki) zu spielen und schon verabredeten wir uns zur ersten Probe. Ja so war das.

Die Musik hat uns zusammengebracht. Und es vergeht immer noch kein Tag, an dem ich nicht spiele, an dem wir nicht spielen, wie auch immer.

Hier füge ich einen Text aus meinem Anafi-Buch an, in dem ich beschreibe, wie alles seinen Anfang mit der Musik nahm … Und der letzte Satz berührt mich selbst noch immer. Jetzt weiß ich ja, wohin das alles hingeführt hat. Und bin dankbar.


*
Anafi, September 2014

Dass ich anfing, ein Instrument zu lernen, war ein Zufall. Es war nicht geplant. Niemals. Alles war neu für mich. Da war nur die Liebe zur griechischen Musik.

Es war das erste Instrument in meinem Leben.

Es begann auf Anafi, im Laden von Takis. Er sagte, ein Instrument zu lernen braucht sehr viel Zeit und Geduld. An diesem Abend verließ ich den Laden mit seiner Tsouras auf dem Rücken. Und einem Blatt Papier mit den ersten Noten. Einem Rembetiko.

Es war am 17. September. Ich weiß es noch genau, weil es Agapias Namenstag war und weil an diesem Tag ihre geliebte Tante starb.

Seitdem ist nicht ein Tag vergangen, ohne das ich auf der Tsouras gespielt habe. Nicht ein Tag.

Es ist, als hole ich mir die griechische Seele in mein Haus. Es ist, als spiele ich meine Sehnsucht. Es ist wie eine neue Sprache. Es ist, als passiert etwas in meinem Leben ohne das ich weiß, wo es hinführt.

 

 

2017/ 2019

Margeriten

Ioanna in ihrem kleinen Laden am Hafen

Ostersonntag

Takis (rechts) und Stefan / Musik in der Taverne Steki (2019)

Der Gemüsegarten von Agapia und Tzortzis

Niki

Unser Haus und Garten