3. Kamillentee und ein Esel auf dem Kirchplatz

Die letzten Tage wehte ein kalter Nordwind so heftig, dass wieder einmal die Fähren nicht fuhren. Wir holten wieder die Winterjacken raus und machten trotzdem wie immer unsere Spaziergänge. Und da stand dann auch ein Esel oben auf dem Platz. Das ist eigentlich nichts Besonderes hier, aber wir freuten uns über den Anblick, über den menschenleeren Platz mit einem Esel. Und er freute sich, dass wir ihn streichelten und er wollte uns gar nicht mehr gehen lassen, fing sogar sein IA an um uns zurückzuholen. Er hatte eine bunte Kette um.

Um uns herum fliegen überall Schwalben, wunderschön. Noch nie haben wir hier Schwalben gesehen. Wir lesen, dass sie auf Grund des starken, kalten Windes über der Ägäis hier zwischenlanden mussten, auf dem Weg in den Norden. Viele sind bis zum Festland geflogen und in Athen meldet man ein Sterben der Schwalben und Mauersegler. Sie waren erschöpft vom starken Nordwind, ihrer Reise im Gegenwind.

 

Heute am Morgen war der Wind fast weg und die Sonne schien, und zum Kaffeetrinken brauchten wir gleich mal die Markise. Dazu gab es Kulurakia, Kekse, die wir gestern bei Agapia gebacken haben.

 

Das Leben hier verändert auch unseren Rhythmus. Und der ist im Winter natürlich anders als im Sommer.

Da es in den Häusern kaum Zentralheizung gibt und auch keine isolierten Wände, ist es teilweise drinnen so kalt wir draußen, oder so warm. Wir haben einen elektrischen Heizofen, der funktioniert bestens. Und was hier jeder hat, sind Heizdecken. Im Winter geht man zeitig ins Bett, weil es dort am wärmsten ist. Man kann ja schließlich auch vom Bett fernsehen. Oder man könnte lesen, aber wir lesen fast nie, warum weiß ich nicht.

Früher habe ich viel gelesen, ich liebte es, in andere Welten zu tauchen. Hier habe ich das Bedürfnis dazu nicht. Das hätte ich nie geglaubt. Stefan geht es ganz genauso.

Wir benutzen den Fernseher auch nie, höchstens unser IPad. Wir schauen seit ein paar Tagen in der Mediathek die Tagesschau. Ich habe sie bestimmt schon 20 Jahre nicht mehr verfolgt. Wozu auch? Jetzt erhofft man sich interessante Neuigkeiten zur Krise, aber irgendwann merkt man die Einseitigkeit und die Verlagerung der Epidemie auf die Finanzsituation. Am Ende geht es wie immer ums Geld.

 

Abends machen wir meistens Musik, trinken ein Bier dazu oder einen selbstgemachten Eierlikör. Oder Kamillentee mit Oregano, das kommt auch vor.

 

Im Sommer sind die Nächte lang. Aber da macht man auch ausgiebig Siesta.

Im Sommer ist sowieso alles anders. Die ganze Insel verändert sich. Es kommen viele Leute, das fängt Ostern schon an. Und dann begegnet man in den Gassen Menschen, die man noch nie gesehen hat oder die gar nicht hierher passen, in diese Einfachheit, in diese Abgeschiedenheit, in diese Stille. In diesen kleinen Kosmos muss man sich einfühlen, den Rhythmus der Insel begreifen, das Einfache verstehen und lieben lernen, das Nichts sehen oder das Nichts zumindest erahnen. Um dann zu erkennen, dass das Nichts ja eigentlich mehr ist als nichts.

Dann gibt es noch die Besucher, die seit Jahren wiederkommen, ja teilweise seit über dreißig Jahren schon, sie suchen und lieben genau das und man kann sagen, sie gehören schon zur Insel.

 

Wir waren noch nie im August da, aber im Juli, und das fühlte sich so an, als entweihten diese vielen fremden Menschen das Dorf. Auf einmal gibt es kleine Schickimicki-Läden, Bars, Gassen-Verkäufer. Überall Leute, die Spaß haben wollen und von der Ursprünglichkeit nichts ahnen, die Insel wird besetzt. Jetzt verdienen die Bewohner ihr Geld. Im Sommer sind alle Zimmer ausgebucht. Der Spuk hört nach dem 10. September auf, wenn das Inselfest vorbei ist. Dann kommen wieder die Insel-Liebhaber, die schon ewig kommen. Und dann wird es wieder gemütlich.

 

Ostern ist hier das größte Fest des Jahres, die Osterwoche heißt die „große Woche“ und jeden Tag gibt es eine Liturgie in der Kirche, normalerweise bis zu drei Stunden, Karfreitag gibt es die Prozession rund um das Dorf und Ostersamstag dann die Auferstehung Christi mit viel Glockengeläut um Mitternacht und jeder hat eine Kerze und trägt diese nach Hause. Dort gibt es dann die traditionelle Ostersuppe Majiritza. Und rote Ostereier. Ostersonntag wird überall gegrillt, oder das Fleisch, meistens Ziege, wird stundenlang in den traditionellen Backöfen gegart. Es wird wieder Fleisch gegessen, die Fastenzeit ist vorbei. Die ganze Verwandtschaft vom Festland kommt dann normalerweise auf die Inseln.

Aber das alles wird wohl dieses Jahr nichts. Wir werden sehen, wie die Griechen improvisieren. Denn das können sie ja. Ostern ist hier eine Woche später.

 

Wegen der Pandemie dürfen nur Inselbewohner mit Nachweis kommen. Und wichtigem Grund. Wie es danach weitergeht, weiß niemand.

In den griechischen Medien berichtet man, das Ende Mai langsam wieder die Urlaubssaison anlaufen könnte. Für welche Gebiete oder Inseln das in Frage kommt, ist unklar. Aber das sind alles nur Spekulationen.

Im Moment gilt noch bis Ende April die Ausgangssperre, man darf nur mit einem Formular und einem Grund das Haus verlassen. Hier auf Anafi merken wir nichts davon. Wer sollte hier das Formular kontrollieren. Das Leben für uns scheint so weiterzugehen wie immer.

 

Im Minimarkt gibt es alles was so ein kleiner Laden eben hergibt, zwei Sorten Wurst, drei Sorten Käse, vier Sorten Saft, vier Sorten Kaffee: Nescafe, griechischer Kaffee, Jakobs Kaffee die Krönung und Lavazza. Schluss aus. Alles sehr übersichtlich und relativ teuer und manchmal, wenn eine Fähre kommt, ist das Obst und Gemüse auch schön frisch.

Aber das macht alles überhaupt nichts, man braucht nicht viel, wenn es nicht viel gibt. Man denkt nur, dass man viel braucht, wenn es viel gibt. Die Geldscheine und Geldstücke an der Kasse werden mit Desinfektionsmittel abgewischt, das scheint mir übertrieben. Gibt es doch nach wie vor keinen Fall hier auf der Insel.

Mit der Einkaufstasche in der Hand, schneiden wir uns noch vom Wegesrand Kamillenblüten ab, ganz frisch für den Tee. Und dann gehen wir langsam schlendernd nach Hause, nochmal nachfragend, welchen Weg man nimmt, den kurzen oder den langen, ach heute gehen wir mal hier oben lang... Und da kommt uns das kleine Zicklein entgegen. Und will wissen was ich in der Tüte habe. Kamillenblüten, ja die will sie mir am liebsten wegnehmen.

 

Alles passiert langsam. Alles ist langsam. Alles wird langsam entschieden und dann auch langsam angegangen. Man lässt sich Zeit für alles. Wenn man auch nur einen Salzstreuer holt, der auf dem gedeckten Tisch fehlt, geht man ganz langsam ins Zimmer, macht langsam den Küchenschrank auf, schaut in Ruhe, wo er sein könnte, findet ihn und geht langsam zurück. Vorher schaut man noch einmal aufs Meer und denkt sich, wie schön ist das denn!

 

Früher habe ich für einen Salat zehn Minuten gebraucht, hier dauert es manchmal fast eine Stunde. Ich gehe zum Beet und schaue, welcher Salatkopf als erstes geerntet werden könnte, zupfe gleich mal eben Unkraut, dann setze ich mich auf die Terrasse und mache die nicht so guten Blätter ab, bringe sie gleich den Hühnern und freue mich, wie sie angerannt kommen. Ich wasche den Salat, lasse ihn abtropfen, überlege, ob ich noch Mohrrüben dazu reibe oder Weißkohl. Ja ok, von jedem etwas, warum nicht. Dann schäle ich, reibe ich, hole das gute Anafi-Olivenöl. Jetzt könnte ich noch Ingwer drüber reiben oder lieber eine Anafi Zitronenschale? Zwischendurch muss ich immer mal wieder alles aufräumen, weil die Küchenarbeitsfläche ist klein.

Und alles passiert langsam mit Genuss und Liebe zu den Dingen und zum Leben überhaupt und natürlich mit der Liebe zu Stefan.

Alles passiert mit einem wachem Bewusstsein. Jeder Schritt, jeder Blick, jedes Tun, jeder Gedanke. Man hat Zeit.

 

Der Mond ging gestern orangefarben über dem Meer auf.

 

 

Unser Zimmer, unsere Terrasse, unser Garten

Marouli Salat

Bouzouki und Niki

Morgenkaffee und Koulourakia

Kamillenblumenzeit

Der Esel vom Opa Mattheus