2. Aprilwetter und Chorta

Samstag, 3.April 2020

 

 

Heute ist stürmischer Südostwind. Da bleibt man Zuhause, obwohl es 18 Grad sind.

Die Geräusche des Windes, wenn man im gemütlichen Zimmer ist, sind schön. Er zischt

durch alle Ritzen und pfeift und draußen muss man alles sicherstellen, sonst fliegt es durch die Gegend.

Das Meer tobt, da darf keine Fähre fahren. Das Licht ist gelb. Sand aus Afrika.

Von hier oben sieht alles so schön aus. Aber morgen werden wir den gelben Wüstensand abspülen müssen, er ist dann überall. Unsere Katze Niki kam uns heute früh mit einem gelben Fleck auf dem Fell entgegen. 

 

Wir hatten kaum noch Brot, also mussten wir ins Dorf. Agapia hatte Ziegenfleisch im Topf und fragte, ob wir zum Essen bleiben wollen, aber es war noch längst nicht gar und wir hatten ja selber eine Mangold-Krusta im Ofen, vegetarisch, und naja, dann sind wir nach einem Kaffee und einem Gespräch mit Tzortzis doch los. Wir hatten ja auch gerade erst gegessen. Agapia und Tzortzis fragen sich schon, ob das mit dem Virus alles so stimmt oder ob ihnen irgendetwas verschwiegen wird. Es gibt die verschiedensten Gerüchte, na das kennt man ja.

 

Irgendwie ist es schon merkwürdig, das man sich nach so kurzer Zeit langsam an diese Situation gewöhnt. Ich höre das auch aus vielen Gesprächen heraus. Hätte uns jemand Anfang des Jahres erzählt, dass die Welt so aussieht, wie sie jetzt gerade aussieht, kein Wort hätten wir geglaubt, dass so etwas möglich ist. Und nun richtet man sich ein, lebt mit dieser Situation und hofft auf bessere Zeiten, also eigentlich auf das normale Leben wieder. Und dann fragt man sich, was ist das normale Leben? Vielleicht zweifelt man ja inzwischen sogar daran, das dies das normale Leben war, vorher.

 

Im Garten haben wir Zucchini gepflanzt und die Schnecken essen die kleinen ersten Blätter weg und dann stirbt das Pflänzchen, also gehe ich immer auch Schneckenjagd. Haha. Und wenn wir die Erde auflockern, benutzen dies die Katzen gleich als frisches Katzenklo. Na da müssen wir also auch aufpassen, weil sie dadurch die frischen Pflanzen zerstören. Und dann kommt der Nachbar, natürlich ein Gärtner, also alle haben ja ihren Gemüsegärten bzw. ihre Äcker, und freut sich natürlich, das die Kartoffeln so schön wachsen aber sagt mir auch, das man die Tomaten nicht so eng setzt, so werden sie nichts und geht weiter. Also habe ich wieder zu tun.. Irgendetwas abernten, damit ein Beet frei wird, oder vielleicht noch ein Terrassenbeet anlegen?

 

Was gibt es neues hier? Die Fischer dürfen nicht mehr fischen und baden gehen ist auch verboten. Am Katsouni-Strand wird ja wohl kein Polizist stehen. Aber auf jeden Fall sind die offiziellen Strände in Griechenland geschlossen. Das betrifft uns aber nicht wirklich. Aber Tzortzis jedenfalls darf nicht mehr runter zum Angeln. Das sieht von hier oben jedermann.

 

Für uns gibt es kaum Änderungen, nach wie vor nicht. Früher gingen wir meistens auch nur in die Tavernen, wenn wir hier Besuch hatten. Stefan kocht viel zu gut, also so gut, dass es nirgendwo besser schmeckt. Ungelogen. Aber jetzt kann ja niemand kommen, also sind wir viel für uns, gehen ab und zu zum Bäcker oder in den Minimarkt, wo es immer noch alles reichlich gibt. Oder manchmal gehen wir zum Hafen, dreimal in der Woche hat Joanna dort ihren kleinen Laden geöffnet. Sie hat immer frisches Obst und Gemüse. Und das Bier ist billiger. Sie hat alles was man braucht.

Der Strand am Hafen hat sich verändert. Er ist gewandert. Wegen des Baus der neuen Hafenmole. Gegenüber vom Laden kann man jetzt Beach-Tennis spielen. Wenn es dann wieder erlaubt ist. Aber hier interessiert das ja sowieso niemanden.

 

Stefan hat in der letzten Zeit an einem Video für Sofia gearbeitet. Sie hat einen Liedtext geschrieben und dieser wurde mit verschiedenen Musikern in Athen umgesetzt. Nun fragte sie uns, ob wir dazu ein Video machen könnten, sie hätte so schöne Aufnahmen von uns gesehen ....

Wir drehten also mehrere Szenen an verschiedenen Orten mit Sofia und es war schönstes Februarwetter, Kontaktverbote gab es noch nicht. Wir wählten die Kleidung aus, die Drehorte, die Geschichte.... Es machte viel Spaß und verlief unkompliziert. Sofia wusste immer, was sie zu tun hat. Anschließend wurden wir in die Küche der Roukounas-Taverne gebeten, dort wurde fix der Tisch gedeckt und es gab natürlich auch Chorta, dazu Kartoffeln, Käse, Omelett mit wildem Spargel und selbstgemachte Wurst. Sofia sagte, so essen wir immer zu Mittag hier, am Tisch zwischen Herd und Spüle. Sofia ist mit dem Sohn der Besitzerin der Taverne, mit Tassos zusammen und deshalb wohnt sie auch dort am Roukounas. Die Mama, Sambeta, ist den ganzen Tag im Garten und der sieht paradiesisch aus. Sie pflanzt und hackt und erntet und gießt und füttert die Hühner, Hasen, Schafe und Ziegen...es ist unglaublich. Sie ist von der vielen Arbeit ganz gebeugt, irgendwie ist sie ein Unikum.

 

Alle die auf Anafi waren, kennen Sofia, sie arbeitet normalerweise in der Liotrivi Taverne. Sie ist eine der vier Töchter des Besitzers und ist ein Sonnenschein.

Wer will, kann das fertige Video sehen. Link: https://youtu.be/sP8YtAEc0Jw

(falls es nicht geht, Link einfach kopieren)

 

Hier gibt es eine kleine Arztstation mit der Krankenschwester Irini. Sie hat eine besondere Stimme, manchmal, abends in einer Taverne singt sie wie eine Diva.

Und dazu gibt es natürlich reichlich Wein oder Whisky, auch wenn sie manchmal danach nicht weiß, wie sie nach Hause kommen soll, oder wo sie ihren Schlüssel hinterlegt hat, um am Ende festzustellen, dass die Haustür gar nicht abgeschlossen war. Sie sitzt am nächsten Morgen in der Arztstation, als ob nichts gewesen wäre. Dann gibt es noch den Krankenpfleger, Georgios, er ist das zweite Jahr hier. Und eine sehr junge Ärztin, sie bleibt für ein Jahr, also mindestens. Wir haben sie noch nicht kennengelernt. Normalerweise werden Ärzte bzw. Ärztinnen für ein Jahr verpflichtet. Das gibt dann auch Beamtenpunkte.

Am besten kannten wir den Arzt, der vor ca. fünf Jahren auf Anafi war, er hatte sich hier verliebt und blieb drei Jahre. Er war auch Musiker, aus Kreta und spielte wie der Teufel Laouto und sang, dass einem der Atem stockte. Leonidas. Zu dieser Zeit hatte Stefan eine Bronchitis mit aus Deutschland gebracht. Es war im Dezember 2016, unser erster Winter hier. Er bekam hohes Fieber und wir waren in ständiger ärztlicher Betreuung, da die Gefahr einer Lungenentzündung bestand. Wir mussten täglich zum Inhalieren und am Ende gab es noch Antibiotika, ging nicht anders, das Risiko war zu groß. Dann wurde es schnell besser.

Ein anderes mal hatte Stefan Herzprobleme. Wir saßen gerade bei Agapia, es war im September 2016. Wir waren noch kein Paar. Sein Puls war enorm hoch, so auf 180/200 und schon bedenklich. Agapia telefonierte sofort mit Leonidas, der aber gerade oben am Platz in der Kirche war, bei einer Hochzeit. Er sagte, wir sollen schon mal zur Arztstation gehen, er komme in einer viertel Stunde dorthin, er müsse nur schnell noch das Kreuz schlagen. Wir warteten also dort und Stefan hatte auch schon seinen Humor wieder und sagte, wenn er nicht gleich kommt, kann der Arzt gleich noch ein Kreuz schlagen. Haha. Jedenfalls kam Leonidas pünktlich und suchte erst einmal das EKG-Gerät....und fand es irgendwo im Schrank und musste aber erst mal mit seiner griechischen Ruhe den Kabelsalat entwirren, schon beim Zuschauen wurden wir immer gelassener. Das Gerät hatte 70iger Jahre Charme, aber funktionierte. Also alles im grünen Bereich am Ende, er solle bei dieser Hitze auf keinen Fall mehr Alkohol trinken, nicht rauchen und keinen Kaffee. Wird schon.

Letztes Jahr war eine hübsche junge Ärztin hier, Frido und Matthes waren hier in den Ferien und hatten eine Fußverletzung, jeder eine andere, und sie hat das toll gemacht, fand ich. 

Vor zwei Jahren war Stathis als Arzt hier, er sprach sogar deutsch, weil er ein paar Jahre in Deutschland in einem Krankenhaus gearbeitet hat. Er war Fan von unserer Musik und er lud uns ständig irgendwo ein und wir spielten. Und Irini sang. Und der Wein floss. Manchmal klingelte auch sein Telefon und er musste wieder einen Opa beraten, was zu tun sei, oder er musste schnell los. Kam aber immer bald wieder. Einmal ist jemand gestorben, da musste auch Irini mit. Und nächsten Tag läuteten die Totenglocken.

 

Vorgestern ist Agapia´s Tante Maroussi gestorben. Sie war 95 Jahre alt. Wir kannten sie gut, weil wir ihr immer mal was Frisches aus dem Garten oder Chorta* von Agapia vorbeibringen sollten. Wir bekamen dann immer eine Süßigkeit oder sogar einen Raki, einen richtig Guten aus Santorin. Alles dauerte immer sehr sehr lange, sie bewegte sich fast in Zeitlupe, der Rücken, ja und die Beine.... Aber sie machte noch alles, den ganzen Haushalt.

Nun ist sie nicht mehr da. Ihr Mann Giannis, Agapias Onkel ist ab sofort alleine. Er ist 92 und eigentlich noch gut drauf. Aber kochen kann er nicht, das macht jetzt unter anderem Agapia. Sicher werden wir ihm ab und zu das Essen bringen.

Ich hatte vor einiger Zeit schon mal einen Text geschrieben, als wir bei Tante Maroussi waren und sie uns einen Tee zubereitete. Ich füge ihn unten an, in Gedenken.

 

 

 

* Chorta: Wildgemüse, man könnte das mit Löwenzahnblättern vergleichen, oder Sauerampfer oder anderem Kraut von der Wiese, alles was so wächst hier, wenn es geregnet hat und was man dann zubereitet, im Prinzip so wie Spinat. Das Kraut wird mit einer Spitzhacke aus dem Berg heraus gestochen und dann in einem großen Sack gesammelt, bis dieser voll ist, manchmal sind es auch zwei Säcke.

Und dann sitzt man am Vormittag zusammen und putzt es. Wie man auch Pilze putzt, sauber die Wurzel abkratzen und schlechte Blätter entfernen usw. Kraut für Kraut. Und wenn dann Agapias Cousine Marjo kommt und sich noch zu uns gesellt, geht alles ganz schnell. Es wird ununterbrochen erzählt und man hat was dabei geschafft und die Griechen lieben die Gesellschaft, warum nicht beides miteinander verbinden. So macht Arbeit Spaß.

Später muss das Kraut noch vier mal gewaschen werden, bis der letzte Krümel Erde ab ist und danach … ab in den Topf. Dies wird am Ende mit gutem Olivenöl und Zitrone serviert. Köstlich und sehr sehr gesund. Der Rest wird in Portionen eingefroren. Für später. Ab Mai ist es zu warm und da findet man keinen Chorta mehr, bis zum Dezember.

 

 

Tee bei Tante Maroussi
Anafi. Vor einiger Zeit schon....
Agapia bat uns eines Abends, den Neujahrskuchen zu ihrer Tante und ihrem Onkel bringen. Sie wohnen in der Chora fast oben am Kastro. Wir wurden mit Tränen in den Augen begrüßt, weil wir bei diesem Sturm und Regen zu ihnen fanden. Sie luden uns ein, zu einem Tee. Ich gesellte mich zu der Tante, sie hieß Maroussi, als sie in ihrer Küche den Tee bereitete. Die Küche war vielleicht fünf Quadratmeter groß. Tante Maroussi nahm einen uralten, verbeulten Topf von der Wand und füllte ihn mit Wasser, drehte bedächtig die Gasflasche auf und zündete nach mehreren Versuchen den Herd an. Sie fasste mich am Arm und zeigte auf ein Glas Anis-Kräuter im Regal. Ich sollte es ihr herunter reichen. Sie streute etwas davon in den Topf. Danach nahm sie aus einer Tüte, die an der Wand hing, etwas Salbei heraus. Und aus einer anderen Tüte Bergkraut. Sie tat auch dies in den Topf. Sehr langsam verschloss sie die Tüten, hängte sie wieder zurück, sich konzentrierend, den richtigen Nagel zu finden. Danach sollte ich ihr folgen, in die gute Stube. Sie öffnete den Schrank und zeigte wiederum auf ein Glas. Mit Zimtstangen. Ich reichte es ihr herunter. Langsam schraubte sie das Glas auf und nahm die schönste Zimtstange heraus. Dann gingen wir zurück in die kleine Küche. Wieder zupfte sie mich am Arm und zeigte auf eine Büchse mit getrocknetem Basilikum. Da sie sich nicht bücken konnte, reichte ich sie ihr. Langsam entnahm sie aus der Dose ein Basilikum-Stengel mit großer Vorsicht, dass nicht andere daran hängen bleiben. Sie tat auch diesen in den Topf. Dann rührte und rührte sie, bis es kochte. Sie nahm ein Sieb. Dies legte sie bereit. Ich sollte ihr wiederum in die gute Stube folgen. Sie zeigte auf einen Schrank. Darin standen die guten Tassen. Wenn einmal Besuch kommt. Sie sagte, ich solle ihr drei Stück herunterreichen. Ich deckte damit den Tisch. Inzwischen kam sie mit dem Topf und einer kleinen Kelle. Langsam und mit zitternden Händen füllte sie die Tassen. Mit dieser Kelle. Sie selber wollte nichts trinken. Sie setzte sich zu uns und sah uns lächelnd beim Tee trinken zu.
Es war nicht einfach nur ein Tee. 

Nach dem Nebel

Drehtag

Margeriten und Niki

Die neue Mole

Am Hafen der neue Strand

Regentag

Beim Arzt

Chorta gesammelt

Agapia und Tzortzis und Stefan

Chorta putzen

Sambeta beim Schaf scheren

Tante Maroussi